Immer mehr Bürgermeister setzen im Kontakt mit den Bürgern auf Mediation – und zwar nicht nur, um Konflikte zu lösen oder ihnen vorzubeugen, sondern auch, um die Bürger bei kommunalen Planungsprojekten zu beteiligen.
Das zeigt eine Befragung von Bürgermeistern aus zwölf bayerischen Gemeinden unterschiedlicher Größe (2.700 bis knapp 30.000 Einwohner) zu ihren Einstellungen zu Bürgerbeteiligung und Mediation. Die Befragung führte der Autor für seine Masterarbeit im Studiengang Mediation an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen durch.
Durch Mediation zu Win-win-Situationen
Dass die Bürgermeister der Beteiligung der Bürger bei kommunalen Planungsprozessen grundsätzlich positiv gegenüberstehen, zeigt der Partizipationsindex, der aus den Antworten gebildet wurde. Er lag auf einer Skala von 0 (totale Ablehnung) bis 100 (totale Zustimmung) im Durchschnitt bei 61,4. Auffallend war dabei, dass dieser Wert mit zunehmender Amtsdauer der Befragten sank. Im Gegensatz dazu erreichten parallel befragte Kandidatinnen und Kandidaten, die sich bei den Kommunalwahlen im März 2020 um ein Bürgermeisteramt bewarben, einen Durchschnittswert von 75.
Eigeninteressen oft im Mittelpunkt
Der Umgang mit Konflikten gehört zwar zum Alltagsgeschäft jedes Bürgermeisters. Doch, da sind sich die befragten Amtsträger einig, der Ton wird zunehmend rauer. Die Befragten (die Stichprobe hatte zufälligerweise dazu geführt, dass nur Männer interviewt wurden) berichteten von zum Teil auch heftigem Widerstand gegen kommunale Entscheidungen. In vielen Fällen sahen sie die Gründe dafür weniger in Anliegen der Allgemeinheit, sondern eher in ausgeprägten Eigeninteressen der Protestierenden: „Die Leute wollen überwiegend vor ihrem eigenen Gartenzaun mitsprechen. Was auf der anderen Seite der Stadt passiert, ist ihnen egal“, konstatierte ein Bürgermeister. Wurden in solchen Fällen früher Flugblätter entworfen, gedruckt und verteilt, um den Protest zu organisieren, helfen heute sogenannte soziale Medien wie Facebook, WhatsApp, Instagram und Twitter bei der schnellen Mobilisierung Gleichgesinnter.
Ein Weg, mit dem Bürgermeister solchen Konflikten begegnen und sie konstruktiv lösen können, ist die Mediation. Dieses seit vielen Jahrhunderten erprobte Verfahren erlebt derzeit eine Renaissance. Der zugrunde liegende Ansatz, gemeinsam nach für alle Seiten guten Lösungen zu suchen, passt besser zu einer aufgeklärten Gesellschaft als eine juristische Konfrontation, die auf Sieg oder Niederlage zusteuert. Zudem zeigt sich immer wieder, dass Gerichtsverfahren einerseits sehr lange dauern und mit hohen Kosten verbunden sind, und zum anderen in vielen Fällen auf Vergleiche hinauslaufen, die in einem Mediationsverfahren leichter zu erreichen gewesen wären. Auch können Gerichtsurteile nur in seltenen Fällen für einen wirklichen Frieden zwischen den Beteiligten sorgen.
Weder Sieger noch Besiegte
Grundgedanke der Mediation ist es, dass die Beteiligten mithilfe eines neutralen Dritten, des Mediators, gemeinsam nach Lösungen für einen Konflikt suchen. So soll eine Win-win-Situation geschaffen werden, in der es weder Sieger noch Besiegte gibt. Wie die, Umfrage zeigte, kannten alle Bürgermeister dieses Verfahren zumindest in den Grundzügen. Die eigenen Erfahrungen bezogen sich in den meisten Fällen allerdings auf privat- oder arbeitsrechtliche Streitigkeiten, bei denen ein Mediator eingesetzt war.
Mediation im öffentlichen Bereich, also beispielsweise bei Konflikten um Straßenbau, Fußgängerzonen, die Abfallbeseitigung, den Betrieb von Bädern oder – ganz aktuell – die Nutzung öffentlicher Einrichtungen für den Mobilfunk, erschien den meisten dennoch vielversprechend: Knapp 60 Prozent nannten es sehr wahrscheinlich oder wahrscheinlich, dass sie künftig in solchen Fällen Mediation einsetzen werden. Die Hälfte der Befragten erkannte im Rückblick Fälle aus der eigenen Praxis, in denen der Einsatz von Mediation ihrer Einschätzung geeigneter gewesen wäre als ein konfrontatives Verfahren. Dazu zählten beispielsweise der Bau einer Wassernotversorgung, die Bauweise eines neuen Kindergartens, die weitere Nutzung eines ehemaligen Bahnschuppens, ein Bauleitverfahren, der Bau von Mobilfunkmasten, die Planung für ein Feuerwehrhaus sowie die Hallenbelegung durch die örtlichen Vereine. Die Hauptvorteile der Mediation sahen sie darin, dass alle Beteiligten ins Boot geholt werden, dass der Sachverstand der Betroffenen einbezogen wird und dass die Chance auf eine tatsächlich akzeptierte Lösung steigt.
Doch auch Vorbehalte wurden geltend gemacht: So beispielsweise, dass Mediationsverfahren keine Gremien- oder Behördenentscheidungen ersetzen könnten oder dass die Gefahr bestehe, dass getroffene Absprachen nicht eingehalten werden. Dennoch zeigt die Praxis, dass ediationsverfahren häufig dazu führen, dass Einsprüche zurückgenommen oder erst gar nicht eingelegt werden. Denn sie geben den von öffentlichen Entscheidungen Betroffenen das Gefühl, gehört zu werden, und bieten tatsächliche Teilhabe – sofern eine Grundbedingung erfüllt ist: die Bereitschaft zu verhandeln. Denn nur, wenn alle Seiten ohne vorherige Festlegungen miteinander sprechen, lässt sich das umsetzen, was das deutsche Mediationsgesetz in § 1 beschreibt: „ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“.
Kerngedanke der Mediation ist es, starre Positionen im Hinblick auf ein umstrittenes Thema aufzulösen. Daher wird nach den dahinterliegenden Interessen -und Bedürfnissen gefragt, die beispielsweise zur Ablehnung eines Straßenbauprojekts oder der Einrichtung einer Fußgängerzone führen. Sobald sich ein striktes Ja oder Nein zu einer differenzierten Antwort wandelt, bieten sich neue Gesprächs- und Lösungsmöglichkeiten. Denn in der Regel sind es nicht die geplanten Projekte an sich, die abgelehnt werden, sondern es ist die Angst vor negativen Folgen, die die Gegner mobilisiert – gleich, ob aus Sorge um die Umwelt, die Sicherheit oder die Gesundheit der Allgemeinheit oder aus rein persönlichen Belangen.
Sich auch mal rausnehmen
Dass solche Verfahren von einem neutralen und entsprechend ausgebildeten Mediator geleitet werden, trägt schon allein viel zur Versachlichung einer Debatte bei. Ein Bürgermeister brachte das auf den Nenner: „Ich bin jetzt als CSU-Mann gut beraten, mich rauszunehmen, sonst habe ich gleich die Roten und Grünen gegen mich.“ Ein weiterer sagte: „Die Leute erkennen mehr, dass es tatsächlich um die Sache geht. Weil nicht eine Gallionsfigur, die mit allem Möglichen behaftet ist, etwas vertritt oder durchbringen will.“
Dass Mediationsverfahren im öffentlichen Bereich oft zeitaufwendig sind – meist dauern sie länger als sechs Monate -, schreckte die Mehrheit der Befragten nicht. Im Gegenteil: Sie sahen die Zeit als gut investiert an. Ähnliches gilt für die Kosten: Schaffen es Mediationsverfahren, Widerstände abzubauen und zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, können sie sogar helfen, Geld. zu sparen. i Deshalb eignen sie sich auch, um Konflikten vorzubeugen. Bürgermeister, die von sich aus den Diskurs suchen und möglicherweise problematische Themen in die Öffentlichkeit tragen, behalten eher die Handlungshoheit als solche, die von außen getrieben werden.
Die auch in der Umfrage wiederholt geäußerte Ansicht, man Würde mit zu früher Beteiligung der Bürger „schlafende Hunde wecken“, wird durch die Praxiserfahrung widerlegt, dass solche Hunde 453 Obacht nie wirklich tief schlafen bzw. dass sie K dank moderner Kommunikationstechnik sehr schnell um sich beißen können.
Zu viel Herzblut tut nicht gut
Auch in der Frage, wie sich neben dem Einsatz klassischer Mediationsverfahren Konflikte im öffentlichen Bereich vermeiden, entschärfen oder lösen lassen, kommt die Studie zu praxisorientierten Schlussfolgerungen. Oft reicht es schon, wenn sich, wie die oben zitierten Bürgermeister sagten, Schlüsselfiguren in den Diskussionen zurücknehmen und beispielsweise die Leitung einer Projektpräsentation einem als Moderator fungierenden Mediator übertragen. Denn Mediatoren haben gelernt, sachlich und neutral durch Verhandlungen zu führen, alle Beteiligten einzubinden und auf ein Machtgleichwicht zu achten. Zu viel Herzblut kann hier kontraproduktiv sein.
Ein weiterer Vorschlag zielt darauf ab, Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter und Gemeinderäte stärker in der Konfliktvermeidung zu schulen oder sogar einzelne Mitarbeiter zu „Troubleshootern“ auszubilden, die in verschiedenste kommunale Prozesse eingreifen können. Hier sei nochmals an die in der Mediation allgegenwärtige Unterscheidung Zwischen Positionen und Interessen erinnert. Erstere stellen die meist plakativen Forderungen einer Partei dar, letztere das, was wirklich dahintersteckt. Die Unterschiede können gewaltig sein, wie ein Beispiel zeigt, das sich seit vielen Jahren durch die einschlägige Literatur zieht: Zwei Geschwister streiten sich um eine Orange und vertreten beide die Position: „Ich will sie ganz haben.“ Nachdem sie die Frucht schließlich geteilt haben, was vordergründig nach einer guten Lösung aussieht, stellt sich heraus, dass das eine Kind die Orange essen wollte, das andere die Schale zum Kuchenbacken abreiben wollte.
Die Interessen könnten also nicht unterschiedlicher sein. Deshalb suchen Mediatoren nach dem, was hinter den Forderungen steckt, und arbeiten auf Win-win-Situationen hin, bei denen es keinen Verlierer gibt – auch wenn es in der Praxis nicht immer so einfach ist, dass einer die Frucht und der andere die Schale möchte. Wer den beiderseitigen Vorteil anstrebt, hat auch keinen Grund, um seine Autorität als gewählter Vertreter der Bürger zu fürchten, wenn er externe Hilfe in Anspruch nimmt. Einer der Befragten drückte das so aus: „Da muss man selber souverän sein in dem Verfahren. Wenn man wie ein Korken auf dem Wasser treibt, dann hat man verloren.“
Eine Kurzfassung der zitierten Masterarbeit mit dem Titel „Welches Potenzial sehen Bürgermeister/innen kleiner und mittlerer oberbayerischer Städte und Gemeinden in der Mediation als Form der Bürgerbeteiligung bei kommunalen Projekten” finden Sie hier ›